Gesundheitskosten
Die Prämien für die obligatorische Kranken- und Pflegeversicherung (OKP) explodieren. Das bringt immer mehr Menschen in finanzielle Schwierigkeiten. Die Freie Liste setzt sich dafür ein, dass die Gesundheitskosten den Mittelstand nicht noch stärker belasten.
Wie gross der Druck durch steigende Gesundheitskosten innerhalb der Bevölkerung ist und wie dringend notwendig wirksame und entlastende Massnahmen sind, haben uns nach die zahlreichen Gesprächen der letzten Monate nochmals verdeutlicht. Der Landtag hat die Initiative zwar abgelehnt. Die Initiant:innen und die Freie Liste haben den Appell gehört und den Auftrag gefasst, das Anliegen weiterzubearbeiten.
Auf welchem Weg ist derzeit noch offen. Eine ausformulierte Initiative, Anpassungen bei der Anspruchsberechtigung für Prämienverbilligung, Erhöhung der Unterstützungsbeiträge und automatische Auszahlung oder eine Erhöhung des Staatsbeitrags an die OKP stehen weiterhin zur Diskussion. Zusätzlich müssen endlich Massnahmen für eine mittel- und langfristige Kostenbremse im Gesundheitssystem ergriffen werden; etwa mit der Wiedereinführung des Hausärzt:innenmodells, mit Investitionen in Prävention und indem die Chancen der Digitalisierung genutzt werden.
So kann es nicht weitergehen!
Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken und eine grössere soziale Krise abzuwenden, ist eine solidarische Verteilung der Gesundheitskosten dringend notwendig. Es gilt unbedingt zu verhindern, dass sich zunehmend mehr Menschen in Liechtenstein eine angemessene medizinische Grundversorgung nicht mehr leisten können. Schliesslich misst sich die Stärke der Gesellschaft am Wohl der Schwächsten.
Mach mitStatus Quo
Die Lohnstatistik 2022 hält fest, was viele Menschen im Alltag spüren: In den vergangenen Jahren sind die Kosten für den Lebensunterhalt, Freizeitangebote und Miete so drastisch gestiegen, dass das real verfügbare Einkommen vieler Haushalte abnahm. Diese Entwicklung wird zusätzlich verstärkt, wenn zudem die Beiträge für die obligatorische Krankenversicherung (OKP) berücksichtigt werden. Die Kosten im Gesundheitssystem steigen nämlich laufend und die Versicherten bezahlen immer höhere Krankenkassenprämien.
Kostenexplosion
Die OKP-Beiträge bilden einen zentralen Kostenpunkt im Haushaltsbudget, werden vom Konsumpreisindex, mit dem das Realeinkommen ermittelt wird, allerdings nicht abgedeckt. Wie viel Geld den Haushalten am Ende des Monats übrig bleibt, wird durch folgende Zahlen daher nochmals drastisch nach unten korrigiert: Während der Brutto-Medianlohn von 2010 bis 2020 lediglich um 9 Prozent anstieg, erhöhte sich die durchschnittliche OKP-Prämie im selben Zeitraum um mehr als 25 Prozent. Heute bezahlen die Versicherten rund 60 Prozent mehr für die obligatorische Krankenversicherung als noch im Jahr 2007. Mit den, wenn überhaupt, nur leicht steigenden Löhnen lassen sich die stark steigenden Kosten für Miete, Lebensmittel, Freizeitangebote und natürlich Krankenkassenprämie schon lange nicht mehr finanzieren. Das Ergebnis: Ende des Monats bleibt weniger im Portemonnaie oder auf dem Konto als noch vor einigen Jahren. Das Wirtschaftswachstum kommt zu einem grossen Teil nicht dort an, wo es die letzten Jahre und Jahrzehnte erarbeitet wurde.
Problematische Kopfprämien
Neu ist das Problem der wachsenden Prämienlast nicht. Seit es das Krankenkassenobligatorium gibt, mussten immer wieder Massnahmen zur Eindämmung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen und zum Schutz der davon Betroffenen ergriffen werden. Etwa durch die Einführung von Kostenbeteiligung und Prämienverbilligungen. Nachhaltig verändert hat sich allerdings dennoch nichts. Besonders schmerzhaft spüren das die Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen. Das liegt in erster Linie daran, dass Liechtenstein keine einkommensabhängige Finanzierung der Gesundheitskosten kennt. Ein System, das in allen OECD-Ländern mit Ausnahme der Schweiz längst Praxis ist. Während in fast allen EU-Staaten rund 80 Prozent der Gesundheitsausgaben über Steuern und/oder Lohnbeiträge finanziert werden, sind es in Liechtenstein nur rund 20 Prozent. Die Prämien decken weitere 50 Prozent. Auf die Kostenteilung mit Dritten entfallen knapp 6 Prozent. Die restlichen 14 bis 16 Prozent der Gesundheitsausgaben finanzieren die Patient:innen über Selbstzahlungen. In der obligatorischen Grundversicherung zahlt nämlich jede versicherte Person zunächst eine Franchise für ihre Behandlungskosten. Konkret heisst das, dass pro Jahr ein bestimmter Betrag selbst finanziert wird, bevor die Krankenkasse die Leistungen trägt. Um die Prämienlast zu mindern, wählen Personen mit geringem Einkommen oft die höchstmögliche Franchise. Damit sinken die monatlichen Versicherungsbeiträge, der Betrag pro Jahr, der selbst bezahlt werden muss, wird aber höher. Das führt im Krankheitsfall mitunter dazu, dass die anfallenden Kosten noch schlechter finanziert werden können und im schlimmsten Fall gänzlich von einer notwendigen medizinischen Behandlung abgesehen wird. Kurz: Die hohen Prämien führen dazu, dass Menschen Ärzt:innen- und Spitalbesuche vermeiden, weil sie eine hohe Franchise gewählt haben, um den hohen Prämien entgegenzuwirken.
Ungleiche Verteilung
Um Menschen mit tiefen und mittleren Einkommen zu entlasten, bräuchte es also eine gerechtere Verteilung der Kosten. Liechtenstein ist neben der Schweiz das einzige Land in Europa mit einer Kopfprämie. Überall sonst müssen die Menschen nur so viel für die Grundversorgung zahlen, wie es ihr Einkommen und ihr Vermögen zulassen. Mittels Prämienverbilligungen wird das System in Teilen doch noch erwerbsabhängig gestaltet: Damit die obligatorischen Krankenkassenbeiträge Versicherte mit besonders geringem Einkommen nicht in die Armut treiben, werden staatliche Ergänzungsleistungen gezahlt. Der Staat subventioniert damit also die OKP-Prämien für Personen, die sich die Krankenversicherung überhaupt nicht leisten können. Alle anderen Versicherten bezahlen gleich hohe Prämien, ohne Rücksicht auf den individuellen Finanzhaushalt.
Am stärksten treffen die Kopfprämien den Mittelstand, der keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung hat und entsprechend prozentual am meisten vom Erwerb für die OKP aufwenden muss. Der Bevölkerungsteil, der durch steigende Prämien und höhere Konsumpreise in eine finanzielle Notlage gerät, wächst. Gemäss Armutsbericht ist die Zahl der armutsgefährdeten Haushalte seit 2004 von 11 Prozent auf 17.1 Prozent gestiegen. Durch die Kopfprämien systematisch bevorzugt hingegen sind Personen mit hohem Erwerb. Das widerspricht nicht nur dem Solidaritätsgedanken, sondern befeuert auch die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft. Und diese ist in Liechtenstein ohnehin sehr gross: Im europäischen Vergleich der Ungleichverteilung von Einkommen schneidet Liechtenstein bedenklich schlecht ab. Von den EWR-Staaten zeigen nur Lettland, Litauen und Bulgarien eine noch ungleichere Einkommensverteilung.
Initiative für eine erwerbsabhängige Krankenkassenprämie
Die Initiative für erwerbsabhängige Krankenkassenprämien ist im Landtag gescheitert. Die Abgeordneten haben in ihren Voten zum Initiativbegehren deutlich klargemacht, dass eine gerechtere und solidarische Verteilung der Prämienlast nicht in ihrem persönlichen Interesse liegt. Ein Resultat, das leider wenig überrascht. An dieser Stelle bedanken wir uns bei der Fraktion der Freien Liste und Walter Frick (VU), die sich über das Eigeninteresse hinaus für eine erwerbsabhängige Krankenkassenprämie ausgesprochen haben.
Es ist unverständlich, dass die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten den Antrag auf Volksbefragung über unsere Initiative abgelehnt hat. Trotz dem klaren Signal aus der Zivilbevölkerung und 2’095 eingereichten Unterschriften hat die Volksvertretung damit signalisiert, dass sie sich diesem Anliegen dennoch nicht weiter annehmen will. Ein demokratischer Grundsatzentscheid und eine Anregung aus dem Volk, die im Zuge der Diskussion aufgeworfenen Detailfragen parteiübergreifend und im Sinne der Gesamtgesellschaft auszuarbeiten, bleiben den Stimmbürger:innen verwehrt.
Aus Sicht der Initiant:innen ist die Einführung der erwerbsabhängigen Krankenkassenprämie, wie bereits im Jahr 2016 gefordert, die eine erwerbsabhängige Krankenkassenprämie die am besten geeignete Massnahme, um die Haushalte zu entlasten. Da die Krankenversicherung in Liechtenstein obligatorisch ist und somit einen beinahe steuerlichen Charakter aufweist, ist es gerechtfertigt, das System um die soziale Komponente der Erwerbsabhängigkeit zu erweitern. Das entspricht nicht zuletzt dem in Artikel 24 der Verfassung verankerten Grundsatz, dass Personen mit höherem Einkommen und Vermögen stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden sollen. Positiv würde sich die Umstellung ausserdem auf das Staatsbudget auswirken, da die Prämienverbilligung und der damit verbundene Verwaltungsaufwand mit ihr entfallen.
Mit dem eingereichten Volksbegehren verfolgten die Initiant:innen das Ziel, dem Landtag und indirekt der Regierung den Auftrag zu erteilen, die Krankenkassenprämien in der Grundversicherung so auszugestalten, dass das Einkommen und Vermögen bei der Berechnung berücksichtigt werden. Eine finale Umsetzung der Forderung wird mit dem direktdemokratischen Mittel der einfachen Initiative nicht definiert. Die Initiant:innen haben sich explizit dazu entschieden, alle im Landtag vertretenen Parteien in den Ausarbeitungsprozess einzuladen. Nach dem Grundsatzentscheid der Stimmbürger:innen für eine gerechtere Verteilung der Gesundheitskosten sind eine überparteiliche Lösung und ein überparteilicher Ansatz gefragt.
FAQ zur Initiative
Häufig gestellten Fragen und die wichtigsten Antworten kannst du hier nachlesen.
Was will die Initiative?
Die Prämien der obligatorischen Kranken- und Pflegeversicherung (OKP) sollen das Einkommen und Vermögen der versicherten Person berücksichtigen. Die OKP-Prämie wäre damit nicht mehr für alle grundsätzlich gleich hoch, sondern für jede:n gerade so hoch, wie es das eigene Budget zulässt. Damit wird der Grossteil der Bevölkerung entlastet und die Kaufkraft gestärkt.
Was bedeutet «erwerbsabhängig»?
Beim Erwerb wird das Einkommen und das Vermögen einer Person berücksichtigt.
Bemessungswert für die OKP-Prämie könnte der «steuerbare Gesamterwerb» sein, der auf Ziffer 21 der Steuererklärung ausgewiesen ist.
Gemäss Faustregel setzt sich der steuerbare Gesamterwerb aus 75 % vom Bruttoeinkommen + 4 % vom Vermögen (Sollertrag) zusammen.
Was passiert mit meiner Prämie?
Ein denkbarer Ansatz wäre, dass die Prämie künftig 6 % vom steuerbaren Gesamterwerb kosten soll.
Wer die Steuererklärung zur Hand hat, kann die eigene Prämie gleich ausrechnen:
Steuerbarer Gesamterwerb* (Ziffer 21) x 0.06 (Beitragssatz) / 12 = monatliche Prämie
*der steuerbare Gesamterwerb setzt sich aus 75 % vom Bruttoeinkommen + 4 % vom Vermögen (Sollertrag) zusammen.
Ein Beispiel:
Der mittlere steuerbare Gesamterwerb in Liechtenstein liegt bei ca. 43’000.- Franken. Bei einem Beitragssatz von 6 % ergäbe sich eine monatliche Prämie von 215.- Franken (43’000 x 0.06 / 12 = 215). Die durchschnittliche Kopfprämie ist heute über 100 Franken höher.
Wie passiert bei einer gemeinsamen Steuererklärung?
Verheiratete Paar haben eine gemeinsam Steuererklärung und damit einen gemeinsamen steuerbaren Gesamterwerb. Davon abgeleitet wird der Prämien-Betrag berechnet, der beide Partner:innen abdeckt.
Damit gäbe es eine Prämienrechnung, mit der beide versichert sind (wie bei der Steuerrechnung). Eine faire Aufteilung der Rechnung wäre den Ehepartner:innen selbst überlassen. Anderenfalls wären zwei Rechnungen in halber Höhe (50:50) denkbar. Zwei Rechnungen, bei denen das Verhältnis von den Ehepaaren im Voraus selbst bestimmt wird, wäre in der Umsetzung wohl kompliziert.
Was passiert mit der Prämienverbilligung?
Die Prämienverbilligung wird mit der erwerbsabhängigen Krankenkasse überflüssig, weil der individuelle Finanzhaushalt bei der Berechnung der Prämie immer berücksichtigt wird. Heute wird dieser nur relevant, wenn die Belastungsobergrenze bereits erreicht ist.
Die erwerbsabhängige Krankenkasse entlastet damit also insbesondere den Mittelstand, der heute keinen Anspruch auf Prämienverbilligung hat.
Was passiert mit der Franchise und dem Selbstbehalt?
Die Franchise und der Selbstbehalt werden durch die erwerbsabhängige Prämie nicht verändert. Die Möglichkeit, die Prämie durch die Wahl einer höheren Franchise zu senken, besteht weiter.
Der Druck, diesen Schritt zu wählen, um die monatliche Prämienlast zu mindern, schwindet allerdings. Schliesslich berücksichtigt eine erwerbsabhängige Prämie die finanzielle Situation der Versicherten bereits bei der Berechnung.
Wie funktioniert das bei Nicht-Erwerbstätigen?
Praktisch jede:r hat einen steuerbaren Gesamterwerb (Ziffer 21 der Steuererklärung). Dieser umfasst nämlich nicht nur den Lohn, sondern jegliches Einkommen (wie z.B. Rentenbezüge, Vergütungen, etc.) und den Sollertrag des Vermögens. Nichterwerbstätige Ehepartner:innen sind ebenfalls abgedeckt, weil Ehepaare eine gemeinsame Steuererklärung und damit einen gemeinsamen steuerbaren Gesamterwerb aufweisen.
Sollen nicht die Gesundheitskosten allgemein gesenkt werden?
Die Devise lautet: Das eine tun und das andere nicht lassen.
Die erwerbsabhängige Krankenkasse entlastet wirksam und gezielt, während weitere Schritte zur Kostensenkung dringend folgen müssen. Die Wiedereinführung des Hausärzt:innenmodells (vor 20 Jahren von der FBP abgeschafft), gesundheitsfördernde Präventionsmassnahmen und angemessene Medikamentenpreise sollen unbedingt diskutiert werden.
Entgegen der Kritik vom Liechtensteinischen Krankenkassenverband (LKV) ist für uns klar, dass sich die erwerbsabhängige Prämie und eine allgemeine Kostensenkung nicht im Wege stehen. Vielmehr sind beide Ansätze richtig und wichtig, um endlich Entlastung für unsere Haushalte zu schaffen.
UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG)
Liechtenstein hat die Agenda 2030 der UNO unterzeichnet und sich damit zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele bekannt. Die Initiative für eine erwerbsabhängige Krankenkassenprämie trägt zur Erreichung der folgenden SDGs bei:
Ziel 1: Keine Armut
Die Anzahl der armutsgefährdeten Haushalte in Liechtenstein hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Neben den Kosten für Lebensunterhalt, Freizeitangebote und Miete bilden OKP-Beiträge einen zentralen Kostenpunkt im Haushaltsbudget. Die jährlich steigenden Gesundheitskosten belasten nicht nur Menschen, die schon jetzt in Armut leben, sondern auch den Mittelstand zunehmend. Eine solidarische Verteilung der Gesundheitskosten mittels erwerbsabhängigen Krankenkassenprämien dient damit einerseits der akuten Armutsbekämpfung und bildet andererseits eine zentrale Präventionsmassnahme.
Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen
Aus finanzieller Not wird bei der obligatorischen Grundversicherung oft die höchstmögliche Franchise gewählt, um so die Kosten für die monatliche OKP-Prämie zu verringern. Das führt im Krankheitsfall mitunter dazu, dass die anfallenden Kosten noch schlechter finanziert werden können und im schlimmsten Fall gänzlich von einer notwendigen medizinischen Behandlung abgesehen wird. Um die Gesundheit und das Wohlergehen aller unabhängig der finanziellen Lage zu gewährleisten, muss einer solchen Abwägung entgegengewirkt werden. Mit der erwerbsabhängigen Krankenkassenprämie wird sichergestellt, dass Menschen nur so viel für eine angemessene Grundversorgung zahlen, wie es ihr Einkommen und Vermögen zulässt.
Ziel 10: Weniger Ungleichheiten
Am stärksten treffen die Kopfprämien den Mittelstand, der keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung hat und entsprechend prozentual am meisten vom Erwerb für die OKP aufwenden muss. Der Bevölkerungsteil, der durch steigende Prämien und höhere Konsumpreise in eine finanzielle Notlage gerät, wächst. Durch die Kopfprämien systematisch bevorzugt hingegen sind Personen mit hohem Erwerb. Das befeuert die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft, die in Liechtenstein ohnehin sehr hoch ist. Mit der erwerbsabhängigen Krankenkassenprämie wird die ungleiche Belastung durch Gesundheitskosten vermindert.