Sozial 3. Juni 2025 Manuela Haldner-Schierscher

Wirtschaft im Dienst der Gesellschaft, nicht umgekehrt

wieder wird gefordert: Bürokratie abbauen, den Staat zurücknehmen, der Wirtschaft mehr Freiheiten gewähren. Auch im Koalitionsvertrag spiegelt sich diese Haltung wider, verpackt als Standortpolitik. Doch die Herausforderungen unserer Zeit, wie soziale Ungleichheit, Klimakrise, Pflegenotstand, Arbeitsdruck etc. lassen sich nicht mit den Rezepten von gestern lösen.

Ein Blick in die Schweiz zeigt, wohin eine über Jahre dominierende marktliberale Politik führen kann. Yves Wegelin beschreibt in der «Republik» vom 30.05.2025, wie das wirtschaftsliberale Modell der 1990er-Jahre an seine Grenzen stösst: Steuersenkungen, Schuldenbremse, Abbau öffentlicher Leistungen, all das öffnete auch die soziale Schere. Die Bevölkerung beginnt gegenzusteuern: Mit einem Ja zur 13. AHV-Rente oder einem Nein zu Steuergeschenken für Konzerne. Doch statt umzudenken, reagieren etablierte Kräfte mit Ablenkung: Migration, Bürokratie oder die EU werden zum Feindbild erklärt. Sichtbar wird eine wachsende Kluft zwischen wirtschaftlicher Interessenpolitik und dem Willen breiter Bevölkerungskreise.

Was sich in der Schweiz zuspitzt, zeigt sich auch in Liechtenstein, wenn auch subtiler. Auch hier wird staatliches Handeln zunehmend abgewertet, wirtschaftliche Interessen dominieren den politischen Diskurs und progressive Anliegen geraten unter Rechtfertigungsdruck. Die Vorstellung, Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit seien ideologisch gefärbt, ist anschlussfähig. Sei dies in wirtschaftspolitischen Forderungen oder auf öffentlichen Bühnen. So etwa auf der Gottfried-von-Haberler-Konferenz, wo jüngst unter dem Titel „Sozialismus im neuen Gewand“ demokratische Errungenschaften wie soziale Gerechtigkeit, Diversität oder Gleichstellung pauschal als Ausdruck eines angeblich neuen Kollektivismus gebrandmarkt wurden.

Was diese Geisteshaltung eint, ist ein Weltbild, das «Freiheit» zum höchsten Prinzip und soziale Verantwortung zur Privatsache erklärt. Dass der Markt alles besser regle, dass Eigenverantwortung immer Vorrang habe, dass staatliches Handeln vor allem als Eingriff zu sehen sei. Doch diese vermeintliche „Freiheit“ ist keine für alle, denn sie nimmt bestehende Ungleichheiten hin und verschärft sie. Die Folgen: Gemeinwohl, Teilhabe und demokratische Aushandlung verlieren an Boden.

Eine gerechte Zukunft braucht eine Weiterentwicklung hin zu einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft, mit einem aktiven Staat, der Wohlstand gemeinsam mit der Gesellschaft gestaltet. Wirtschaft soll den Menschen dienen – nicht umgekehrt.