Demokratisch 2. September 2025 Tatjana As’Ad

Zurück in die Zukunft

Vierzig Jahre nach der Gründung der Freien Liste kommt mir die Ehre zu, eine Jubiläumsbotschaft zu verfassen. Ich schreibe nicht als Chronistin und nicht als Held:innenverehrerin. Ich schreibe als Verbündete – mit Sympathie und einem Funken Idealismus, aber auch mit der nötigen Distanz. Mein Blick zurück ist geliehen: aus Protokollen, Flugblättern und den Erinnerungen jener, die vor uns den Weg freigemacht haben. Als ich zur Welt kam, lag der erste Einzug der Freien Liste in den Landtag bereits drei Jahre zurück. Als ich das erste Mal wählen durfte, war sie längst fester Bestandteil der hiesigen Politik. Ich bin damit aufgewachsen, dass es in Liechtenstein eine Heimat für linke, progressive Positionen gibt. Und dafür bin ich unglaublich dankbar.

Aus der Distanz lässt sich sagen: Die Geschichte der Freien Liste ist keine Hochglanzchronik. Diese Partei war nie glatt. Sie hat angeeckt, sich verheddert, neu sortiert. Was sich dabei aber durchzieht, sind unverhandelbare Grundwerte und Menschen, die sich getraut haben, für diese einzustehen. Oft dem Zeitgeist voraus, manchmal unbequem und immer mit dem Ziel, Liechtenstein sozialer, demokratischer und ökologischer zu machen.  Von Anfang an stand die Freie Liste für mehr Stimme fürs Volk, für Gleichstellung ohne Sternchen im Kleingedruckten, für Umwelt- und Klimaschutz, der nicht am Prospekt endet und für die Rechte derer, die hier leben, arbeiten, Kinder grossziehen – mit oder ohne Pass. Neutrale Abstimmungsinformationen statt Meinungsmache. Repräsentation und differenzierte Entscheidungen statt ewiges Schwarz-Rot. Frauenhaus, Kinderbetreuung, Schutz vor Gewalt. Verursacherprinzip, erneuerbare Energien, Raumplanung mit Nähe statt Zersiedelung. Das waren keine gemütlichen Forderungen. Sie waren ein Gegenentwurf und oft der Anfang von Mehrheiten, die es vorher nicht gab. Genau deshalb braucht es die Freie Liste, damals wie heute.

In den vergangenen vier Jahrzehnten sind die Herausforderungen nicht kleiner geworden, sondern konkreter. Es wird enger im Portemonnaie, teurer beim Wohnen, unsicherer in der Versorgung. Gleichzeitig drängt die Klimakrise, und die Demokratie schliesst immer noch zu viele aus. Währenddessen war auch die Freie Liste nicht immer dort, wo es am meisten brannte. Wir waren zuweilen zu leise. Zu sehr unter uns, zu wenig auf der Strasse. Wir haben Kompromisse geduldet, die Papier füllten, aber keine Kühlschränke. Manchmal haben wir uns im Prozess verfangen und das Wesentliche aus dem Blick verloren. Das zuzugeben, erscheint mir wichtig. Schliesslich soll das Bestehen der Freien Liste keinen Selbstzweck verfolgen, sondern so viel mehr: Es ist ein Versprechen an diejenigen, die keine Lobby haben – und eine Verpflichtung, dieses Versprechen einzulösen.

Was wir aus den Anfängen lernen können, ist einfach und anspruchsvoll zugleich: Reibung gehört dazu. Fortschritt hält Widerspruch aus. Hartnäckigkeit schlägt Eitelkeit. Und immer, wenn wir Haltung in Handwerk übersetzt haben, wenn aus Forderungen Vorstösse wurden, aus Diskussionen Allianzen, aus Visionen Projekte, dann hat sich Liechtensteins Politik bewegt.

Was es jetzt braucht, ist Politik, die spürbar entlastet und verlässlich schützt. Wir kämpfen für die Kaufkraft der Menschen: mit Löhnen, von denen man leben kann, mit erwerbsabhängigen Krankenkassenprämie und mit einer starken AHV. Wir machen Wohnen zur Frage des öffentlichen Interesses: mit aktiver Bodenpolitik, gemeinnütziger Wohnbau und Mieter:innenschutz. Wir ordnen den Platz neu: mit lebenswerten Quartieren statt grauen Parkplatzwüsten, und mit öffentlichem Verkehr und sicheren Velorouten, die verbinden. Wir begreifen Klimaschutz als Daseinsvorsorge: in dem wir erneuerbare Energien ausbauen, Gebäude sanieren und die Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität begleiten – sozial abgefedert, damit niemand zurückbleibt. Wir bestehen auf Gleichstellung im Alltag: mit Lohngerechtigkeit, Schutz vor Gewalt, Anerkennung und Absicherung von Care-Arbeit. Und wir erweitern Demokratie: Hürden runter, Mitbestimmung rauf – auch für Junge und Menschen ohne Pass, die hier leben, arbeiten und Steuern zahlen. Finanzen sind dabei Mittel zum Zweck. Öffentliche Gelder sollen dorthin fliessen, wo sie den grössten Nutzen stiften: in Wohnen, Bildung, Pflege, Klima, Infrastruktur und soziale Sicherheit.

Was jede und jeder tun kann, ist mehr, als man oft denkt. Politik begrenzt sich nicht aufs Parlament: Ein Gespräch im Treppenhaus, eine Stunde im Quartier, ein Hinweis auf Leerstand, eine Idee für eine sichere Querung, eine Spende für die Gewerkschaft, eine Unterschrift, eine Kandidatur. So werden Überzeugungen zu Mehrheiten. Wir suchen Verbündete jenseits der eigenen Blase, sprechen mit statt über Betroffene und bringen Wissen aus der Praxis an den Verhandlungstisch. Nur so entsteht Politik, die hält.

Ich verstehe vierzig Jahre Freie Liste nicht als nostalgische Rückschau, sondern als Auftrag. Werden wir wieder lauter, wo Schweigen bequemer wäre. Verbindender, wo Spaltung opportun ist. Zielstrebiger, wo Verfahren sich im Kreis drehen. Unsere Tradition ist kein Museum, sie ist ein Werkzeugkasten, den wir nutzen sollten – damit mehr Menschen sicher wohnen, gut versorgt sind, barrierefrei teilhaben, ohne Angst leben und politisch mitentscheiden. Ich lade euch ein, mitzufeiern und mitzumachen. Kommt an unsere Jubiläumsfeier, bringt Freund:innen, Fragen, Kritik und Ideen. Organisieren wir Mehrheiten, die bewegen – im Landtag, in den Gemeinden und im Alltag.

40 Jahre Freie Liste!

Am 20. September 2025, ab 16 Uhr beim Gemeindesaal in Eschen.

Programm-Highlights