Sozial 28. Mai 2023 Georg Kaufmann

Politische Frage der Woche — Schere zwischen arm und reich

Nach 16 Jahren veröffentlichte die Regierung am Montag einen neuen Armutsbericht für Liechtenstein. Die Armutsquote lag 2020 bei 3,1 Prozent der Bevölkerung. Das sind 1200 Personen, die finanziell gesehen unter dem sozialen Existenzminimum liegen. Die Armutsgefährdung (14,1 Prozent) ist bei Einpersonenhaushalten am grössten, gefolgt von Alleinerziehenden. Der Bericht zeigt zudem auf, dass zehn Prozent der liechtensteinischen Bevölkerung im Jahr 2020 über ein Äquivalenzeinkommen von mehr als 111 900 Franken verfügten, während die «unteren zehn Prozent» mit 31 100 Franken oder weniger auskommen mussten.

Wie liesse sich die Schere zwischen arm und reich verringern?

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander, die soziale Ungleichheit nimmt zu. Das gilt weltweit und der Trend ist laut dem aktuell erschienenen Armutsbericht auch bei uns feststellbar. Problematisch ist zudem, dass der soziale Status vererbt wird, nur wenigen gelingt der Aufstieg.

Wie liesse sich dieser Trend umkehren und unsere Gesellschaft gerechter gestalten? Einerseits müssten die Löhne im Tieflohnbereich deutlich angehoben werden. Bruttolöhne von 4000 Franken und darunter bei einer 100% Anstellung sind leider auch bei uns keine Seltenheit. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass das, was sie mit ihrer Arbeit leisten, nicht im Einklang steht, mit dem, was sie bekommen, dann droht sozialer Unfriede. Wieso also nicht einen Mindestlohn festsetzen, an dem sich alle GAVs zu orientieren haben? Auf der anderen Seite tragen staatliche Angebote in Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherung erwiesenermassen dazu bei, Armut und Ungleichheit zu verringern und sozialen Aufstieg zu erleichtern. In diesen Bereichen gilt es, unser derzeitiges Angebot kritisch zu hinterfragen. So zementiert im Bildungsbereich das dreigliedrige Schulsystem auf der Sekundarstufe erwiesenermassen den sozialen Status. Meiner Meinung nach gehört es reformiert. Im Gesundheitsbereich halten wir im Gegensatz zu allen anderen Sozialversicherungen bei der Krankenkassenprämie unbeirrt an den Kopfprämien fest. Und dass bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit die Unterstützung durch die Invalidenversicherung am Einkommen bemessen wird, ist für mich ein weiteres Beispiel, wie die Schere strukturell auseinandergehalten wird. Um dies zu rechtfertigen, werden dann „Hilfspakete“ geschnürt (Prämienverbilligungen, Mietbeihilfen, Ergänzungsleistungen etc.). Sinnvoller wäre es, wirkliche Aufstiegschancen zu schaffen, um den Betroffenen den Weg aus dem Teufelskreis Armut heraus zu ebnen. Das Geld dazu ist vorhanden, der klare politische Wille leider (noch) nicht.