Sozial 10. März 2024

Politische Frage der Woche — Reform der Sekundarstufe

Die Studienautoren von «Innovation durch Schulautonomie und Wettbewerb» der Stiftung Zukunft.li plädieren für eine Reform des Bildungssystems im Land. Eine Empfehlung, die in der Studie beschrieben wird, betrifft die traditionelle Aufteilung in Oberschule, Realschule und Gymnasium, die aufgehoben werden soll. Mit diesem Ansatz könnte die Schulleitung entscheiden, ob sie wie bisher Oberschule und Realschule als eigene «Abteilungen» trennen will oder ob alle Leistungsniveaus gemeinsam unterrichtet werden, was mehr Durchlässigkeit ermöglichen und die Chancengerechtigkeit erhöhen würde. 

Was meinen Sie zur Reform der Sekundarstufe in Liechtenstein? 

Die Diskussion über eine Reform der Sekundarschule ist nicht neu. Bereits 2009 wurden im Zuge des Referendums gegen SPES I Fragen rund um die Ausgestaltung der Sekundarstufe I ausführlich und emotional diskutiert. Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten fünfzehn Jahren rasant weiterentwickelt. Die grundlegende Problematik ist aber immer noch dieselbe.

Trotz teilweiser Modernisierung der Kindergarten- und Primarstufe findet die wichtigste und einschneidendste Selektion schon nach der fünften Klasse statt. Die Kinder sind dann in der Regel erst elf Jahre alt. Bereits in dieser frühen Entwicklungsstufe wird ein enormer Druck aufgebaut, unter dem die Kinder oft leiden. Dieser Druck lastet auch auf den Schulen, den Lehrpersonen, den Eltern, ja ganzen Familien. Die frühe Selektion benachteiligt sogenannte “Spätzünder”, Kinder mit Teilbegabungen, sozial Benachteiligte und solche mit Migrationshintergrund. Sie werden extrem früh in Ober- und Realschüler:innen sowie Gymnasiast:innen eingeteilt.

Eine einheitliche Sekundarstufe I würde ganz andere Möglichkeiten zur individuellen Förderung bieten. Das ganze System würde durchlässiger und die Kinder hätten mehr Zeit, ihre Fähigkeiten ohne den sehr frühen Selektionsdruck zu entwickeln. Kinder mit Teilbegabungen, zum Beispiel im mathematischen Bereich, könnten viel besser aufgefangen werden, wenn sie in ihrem Spezialfach einer starken Lerngruppe zugeteilt würden. Gewiss werden im heutigen System deshalb viele Talente übersehen oder zu wenig gefördert. Welch ein Verlust!

Auch in der aktuellen Diskussion werden bestimmt wieder ähnliche oder die gleichen Gegenargumente wie damals ins Feld geführt werden. Doch die Angst vor Bildungsabbau und schlechteren Leistungen der Schülerinnen und Schüler ist unbegründet. Dies zeigen die Bildungssysteme anderer Länder, die in diesem Bereich schon lange weiter sind als wir.

Dass gemäss Studie der Stiftung Zukunft.li Schulen autonom über das angewendete Modell entscheiden können sollten, ist in Anbetracht unserer Grössenverhältnisse übertrieben. Ein gut durchdachtes, zeitgemässes und funktionierendes Modell genügt vollauf.

Daniel Walser, Vorstandsmitglied